Wissenswertes zu „Don Giovanni“
1624 - genau vor 400 Jahren - fand in Madrid eine bemerkenswerte Uraufführung statt: El Burlador de Sevilla y Convidado de Piedra. Zu Deutsch: Don Juan, der Verführer von Sevilla und der steinerne Gast. Verfasser dieses überaus erfolgreichen Dramas war der spanische Geistliche Andrés de Claramonte (1580 -1626). In Barcelona erschien 1630 anonym das Textbuch im Druck. Es gilt als die älteste bekannte Fassung des Don-Juan-Stoffes. Heute kann man eine deutsche Übertragung von Ludwig Braunfels im Buchhandel erwerben. Die Lektüre ist beeindruckend. Höchst aufwändiges und fesselndes Sprechtheater wird hier in der spanischen Dramen-Manier des frühen 17. Jahrhunderts geboten. An die 50 Darsteller sind im Textbuch vorgesehen, auch Sänger. Dramen dieser Zeit Art wurden als „comedia“ bezeichnet, manche auch als „autos sacramentales“, geistliche Stücke. Der bekannte spanische Autor Lope F. de Vega Carpio soll diesen Typ der „comedia“ erfunden haben, eine Mischung aus Tragödie und Komödie. Viele Hunderte solche „comedias“ sind allein von den drei Klassikern Lope, Calderón und de Molina geschrieben worden.
Aus dieser schier unüberschaubaren Masse an Stücken sticht „El Burlador“ heraus. Der Stoff übte offensichtlich höchste Faszination aus. Ein Mythos entstand: Don Juan, der Frauenverführer, der Frevler, der Sex-Besessene. Zahlreiche Autoren griffen seither in ihren Werken diesen Stoff auf. An die 500 Theaterstücke sollen bis heute dazu entstanden sein. Dazu kommt noch eine Flut von über 4000 Schriften der Sekundärliteratur, in denen der Don-Juan-Mythos auf vielfältige Weise gedeutet wird.
Dem Italiener Lorenzo da Ponte, Geistlicher und Hoflibrettist in Wien, sagte der Stoff ebenfalls sehr zu. Er schlug ihn Mozart zur Vertonung als Oper in italienischer Sprache vor. Mozart nahm an – zum Glück. Seine Vertonung wurde zum Klassiker und überdauerte.
Es ist anzunehmen, dass da Ponte den Text des spanischen Ur-Don Juan kannte. Den Gegebenheiten der Oper entsprechend hat er die Handlung sehr gestrafft und neu gestaltet. Von den 23 Einzel-Figuren der Urfassung bleiben bei da Ponte nur noch 7 übrig: Don Giovanni, sein Diener Leporello, Donna Anna, sowie ihr Vater, der Komtur (CEO eines Ritterordens), Annas Verlobter Don Ottavio. Als Vertreter des Volkes ergänzen Zerlina, ihr Verlobter Masetto, eine Bauernschar und etliche Diener das Bühnenpersonal.
Donna Elvira wird als Figur dazu erfunden. Giovanni hat ihr die Ehe versprochen und sie dann verlassen. Doch sie liebt ihn und will ihn zurück. Als einzige Figur im Stück erfährt sie eine persönliche Entwicklung. Zunächst ist sie vom Wunsch nach Rache an Giovanni durchdrungen, spürt ihre tiefe Zuneigung zu diesem Mann und will am Ende nur noch eines: seine Rettung.
Mozart hat sein Werk als „dramma giocoso“ deklariert, als „heiteres Drama/Spiel“. Das verwundert zunächst, wenn man den Anfang und das Ende der Handlung bedenkt. Die Doppelnatur des Spiels ist in der Struktur „Ur-Don Juan“ und in der Tradition der spanischen „comedia“ bereits angelegt. Kirchliche Vorgaben dürften hier maßgeblich dazu beigetragen haben. Selbstverständlich wurde im hochkatholischen Spanien erwartet, dass der Atheist und Frauenschänder Don Juan eine angemessene Strafe erfahren wird. Im Gegensatz zum Jedermann bereut Don Juan seine Taten aber nicht. Auf Vergebung kann er deshalb auch nicht hoffen. Er muss mit dem Tode bezahlen.
Auch für den Geistlichen Da Ponte besteht darüber wohl kein Zweifel. Er und Mozart machen daraus ein großartiges Finale, das seinesgleichen sucht. Giacomo Casanova, der mit da Ponte bekannt war, soll angeblich eigens von seinem Alterssitz in Böhmen nach Prag gereist sein, wo 1787 die Uraufführung des „Don Giovanni“ mit triumphalem Erfolg stattfand, um eine Änderung des Schlusses zugunsten von Giovanni zu erbitten. Dazu kam es aber nicht.
Mozarts Klangwelt kreist im Verlauf der Oper gut erkennbar um zwei Pole. Der Anfang der Ouvertüre und das Ende im Finale II bringt sehr ernste, mysteriöse, bedrohliche, der Kirchenmusik nahestehende Klangwelten im Stile eines Mysterienspiels. Dazwischen werden abwechslungsreiche, heitere Spielszenen mit entsprechend „leichter“ und unterhaltender Theater-Musik gestaltet.
Das FLTB sieht sich als musikalisches Volkstheater. Wir spielen niedrigschwellig für ein breites Publikum. Um gute Verständlichkeit zu erreichen und unser Publikum „mitzunehmen“ spielen wir „Don Giovanni“ in einer deutschen Fassung mit Dialogen, anstelle von Rezitativen. An dieser Stelle möchte ich Julia Dippel dafür danken, dass ich ihre deutsche Übertragung aus einer früheren Arbeit bei der Erstellung der FLTB-Fassung einbeziehen durfte.
Die größte Besonderheit dieser „Don Giovanni“- Produktion besteht in der Erweiterung der Aufgaben des Chores. Mozart hat nur einen einzigen Chor der Bauern und Szenen für Diener vorgesehen. Aus dem Material der Partitur hat Andreas Vincent in etlichen Musik-Nummern wirkungsvolle Chöre gesetzt. Auch ihm danke ich an dieser Stelle sehr für die Rechte an der Verwendung seines Materials.
Rudi Maier-Kleeblatt
Die deutsche Übertragung „Don Juan, der Verführer von Sevilla und der steinerne Gast“ ist unter ISBN 978-3-8619-9160-1 erhältlich.